(siehe auch den entsprechenden RUB-Forschungsbericht)
Der Informationsbegriff zählt heute zu den wohl meistverwendeten Termini der Naturwissenschaften überhaupt, und dies, obwohl die scheinbar einfache Frage, was Information eigentlich sei, ein komplexes begriffliches Problem darstellt. Das Konzept Information taucht in den verschiedensten Sachzusammenhängen auf, zum Beispiel in der Thermodynamik (als Deutung von Entropie), in der Quantentheorie (in Zusammenhang mit den Problemen des Messprozesses), in der Evolutionstheorie und Genetik (in Form der DNA als biologischer Information) und in den Kognitionswissenschaften. Dort diente der Begriff Information im Zuge der Erforschung künstlicher Intelligenz in den siebziger Jahren zur rasanten Entwicklung eines eigenen Arbeitsgebietes, der Informatik, und in den modernen Neurowissenschaften wird er mit neuronaler Informationsverarbeitung identifiziert. In der Linguistik untersucht man die Sprache in ihren Aspekten als syntaktische, semantische und pragmatische Information. Im modernen Informationszeitalter könnte Information (z.B. als Ware) gar zum entscheidenden gesellschaftsrelevanten Faktor für Politik und Wirtschaft werden.
In diesem grossen Spektrum der Verwendung des Informationsbegriffs kommt der Begründung des Aufbaus der Physik auf dem Konzept der Information methodisch die vorderste Bedeutung zu. Der entscheidende Ansatz innerhalb der theoretischen Physik, der dies möglich erscheinen lässt, wurde von Carl Friedrich von Weizsäcker gegeben. Sein Vorschlag einer Quantentheorie der Ur-Alternativen läuft darauf hinaus, die in der physikalischen Forschung erarbeitete und z.T. sehr erfolgreiche phänomenologische Beschreibung der Elementarteilchen aus logisch kleinsten Objekten, sogenannten Uren (als Kurzform von Ur-Alternative oder Ur-Objekt), zu rekonstruieren. Ure müssen dabei als "Informationsatome" aufgefasst werden. Während nun in diesem Jahrhundert vielfach die Vermutung geäussert wurde, der Begriff Information trete als dritte Substanz gleichrangig neben die beiden Substanzbegriffe der klassischen Physik - Materie und Energie, legt Weizsäckers Ansatz statt dessen die explizite These nahe, Materie und Energie, die seit Einsteins berühmter Äquivalenzformel E=mc^2 bereits identifiziert werden, seien lediglich mögliche Manifestationsformen der Information.
Die Ur-Theorie setzt die fundamentale Gültigkeit der Quantentheorie voraus. Dabei wird der Theorientyp " Quantentheorie" ganz allgemein als Vorhersagetheorie über empirisch entscheidbare Alternativen angesehen. In der so verstandenen Quantentheorie - Weizsäcker nennt sie Abstrakte Quantentheorie (AQT) - ist zunächst noch nicht von Teilchen in Raum und Zeit die Rede, sondern lediglich von Alternativen.
Für den zentralen Terminus der Ur-Alternative gibt Weizsäcker die folgende Definition: Die binären Alternativen, aus denen die Zustandsräume der Quantentheorie aufgebaut werden können, nennen wir Ur-Alternativen. Das einer Ur-Alternative zugeordnete Subobjekt nennen wir ein Ur. (Weizsäcker 1985, S. 392).
Man kann auch sagen: Ur-Alternativen repräsentieren den Informationsgehalt einer möglichen Ja-Nein-Entscheidung, also 1 bit quantentheoretisch behandelte potentielle Information (Quantenbit).
Die Ur-Hypothese besteht nun in der Annahme, dass die Zustandsräume aller Objekte der Physik essentiell aus Uren aufgebaut sind. Im Sinne der AQT ist dies ein logischer, kein räumlicher Atomismus. Da sich nun jeder n-dimensionale Hilbertraum in das Tensorprodukt von k zweidimensionalen Hilberträumen mit 2^k > n abbilden lässt, so dass seine lineare und metrische Struktur erhalten bleibt, ist die Ur-Hypothese quantentheoretisch trivial.
Die wesentliche Symmetriegruppe eines Urs ist die SU(2). Eine Welt, die aus Uren aufgebaut ist, sollte also wesentlich invariant unter dieser Gruppe sein. Die zentrale Grundannahme der Ur-Theorie ist nun, dass bereits der Ortsraum eine Folge der Ur-Hypothese und mithin der Symmetriegruppe des Urs ist.
Diese Annahme lässt sich wie folgt motivieren: Man kann den Ortsraum als Parameterraum der Wechselwirkungsstärke ansehen. Ein geeignetes Ortsraummodell wäre demnach die Parametermannigfaltigkeit der SU(2) selber, d.h., die SU(2) als homogener Raum aufgefasst. Diese ist topologisch eine S^3, d.h., die Einheitssphäre des R^4, also isomorph dem Ortsanteil eines Einstein-Kosmos. In der Ur-Theorie wird die SU(2) daher selbst als naheliegendes, genähertes Modell des Kosmos aufgefasst.
Man sieht hieran, dass Ure keinesfalls als gewöhnliche Elementarteilchen in Raum und Zeit zu verstehen sind, denn sie sind als Funktionen auf der Gruppe nicht lokalisierbar. Dies paraphrasiert Weizsäcker, wenn er sagt, das Ur kennt den Unterschied zwischen Teilchenphysik und Kosmologie noch nicht (Weizsäcker 1985, S. 400). Seine Symmetrie begründet erst den Raum.
Auf der Basis dieser urtheoretischen Grundannahme lassen sich nun diverse physikalische Ableitungen formulieren. Der nachfolgende chronologische Abriss gibt vielleicht einen Eindruck davon. Jeder Leser, der eventuell "auf den Geschack gekommen ist" und nun Genaueres erfahren möchte, kann sich in folgender ausführlicher physikalischer Darstellung der Ur-Theorie detailliert informieren:
Weiterhin sei auf die untenstehende Literatur verwiesen.
1955 und 1958
Von den drei Arbeiten Weizsäckers unter dem Titel Komplementarität
und Logik enthält insbesondere die dritte das mathematische
Grundmotiv zur Urtheorie: "Die spezielle
Relativitätstheorie, soweit sie eine mathematische Theorie von
Raum und Zeit ist, ist bereits die Quantentheorie einer tiefer
liegenden einfachen Alternative. Die Lorentz-Gruppe ist eine
(untreue) reelle Darstellung der Gruppe der komplexen linearen
Transformationen des quantenmechanischen Zustandsraums jener
Alternative." (Weizsäcker et al. 1958).
1971
Das Buch Die Einheit der Natur (Weizsäcker 1971)
erscheint. Es enthält in seinem zentralen Kapitel II,5 die
Übersetzung des Aufsatzes The unity of physics, eines
Konferenzbeitrags Weizsäckers von 1968. Hier wird nun die
Einheit der Physik in der bereits etablierten Quantentheorie
gesucht. Diese wird als eine allgemeine Theorie zur Vorhersage
empirisch entscheidbarer Alternativen axiomatisch, der
Dissertation von M. Drieschner (Drieschner 1970) folgend,
aufgebaut. Aus dem Finitismus, der Betrachtung
endlichdimensionaler Zustandsräume, folgt die Existenz eines
endlichen Raumes. Objekte im Raum werden aus Ur-Objekten
oder kurz Uren mit zweidimensionalen Hilberträumen
aufgebaut. Weizsäcker schätzt ihre Zahl auf 10^120 und führt
in einer kleinen Rechnung vor, dass aus der Urhypothese ungefähr
die kosmische Massendichte folgt. Es ist wichtig zu sehen, dass
Ure keine gewöhnlichen Elementarteilchen in Raum und Zeit sind,
sie können als "logische Atome" aufgefasst werden,
deren Symmetrien die Raum-Zeit und alle Objekte mit ihren
Wechselwirkungen bestimmen.
Für die begriffliche Analyse der in der Urhypothese angelegten Informationstheorie erscheint in (Weizsäcker 1971) unter dem Kapitel III,5 der Aufsatz Materie, Energie und Information.
1975-1986
Die Physiker-Gruppe am ehemaligen Starnberger MPI zur Erforschung
der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt (L.
Castell, M. Drieschner, K. Drühl, W. Heidenreich, P. Jacob, Th.
Künemund) bearbeitet einen grossen Teil mathematischer Probleme
in der Urtheorie. Hierzu gehören die Darstellung masseloser
Teilchen im Tensor-Fockraum der Ure, die Bedeutung der konformen
Gruppe SO(4,2) mit der Lorentzgruppe als Untergruppe zur
Teilchendarstellung und die Parabose-Statistik für Ure. Dies ist
insbesondere in den Dissertationen (Heidenreich 1981), (Künemund
1985) sowie in den Proceedings (Castell et al. 1975)
zu sechs Konferenzen unter dem Thema Quantum Theory and the
Structures of Time and Space veröffentlicht.
1985
Weizsäckers Buch Aufbau der Physik (Weizsäcker 1985)
enthält im 9. und 10. Kapitel eine zusammenfassende Darlegung
der wesentlichen mathematischen Inhalte der Urtheorie. Das
Kapitel 12 ist wichtiger Ausgangspunkt für die
informationstheoretische Deutung der Theorie.
1986-1989
Th. Görnitz bearbeitet in 4 Veröffentlichungen kosmologische
Aspekte der Urtheorie (Görnitz 1986), (Görnitz 1988a),
(Görnitz 1988b), (Görnitz und Ruhnau 1989) wie
den Entropiegewinn beim Sturz eines Nukleons in ein schwarzes
Loch oder den Zusammenhang mit Weltmodellen, die aus den
Einsteingleichungen folgen.
1992
D. Graudenz und Th. Görnitz konstruieren in (Görnitz et al.
1992) einen lorentzinvarianten Vakuum-Zustand aus Uren und
geben Darstellungen massiver Fermionen und Bosonen an. Es besteht
nun die Hoffnung, die Beschreibung von Wechselwirkungen
urtheoretisch vornehmen zu können. Zudem veröffentlicht
Weizsäcker sein grosses philosophisches Abschlusswerk (Weizsäcker
1992). Es enthält u.a. bislang unveröffentlichte
Überlegungen wie etwa die Frage nach der Existenz eines
Zeitoperators in der Quantentheorie und Beiträge zur Logik und
Metamathematik.
Gegenwärtig ...
... untersuchen Th. Görnitz und U. Schomäcker die Struktur
zusammengesetzter Viel-Ur-Zustände unter Zuhilfenahme der Idee
des Heidenreich-Produkts sowie ferner mögliche Operatoren aus
Urerzeugern im Tensorraum, die als Kandidaten für die Ladungen
im Standardmodell in Frage kommen. H. Lyre beschäftigt sich mit
informationstheoretischen Interpretationsfragen der Urtheorie (Lyre
1995), (Lyre 1996), (Lyre 1997), (Lyre
1998b) und Zusammenhängen zwischen Urspinor- und
Tetradentheorie (Lyre 1998a).
Die Ur-Theorie erlaubt eine philosophische Interpretation als konsequente Quantentheorie der Information. Das Wort "konsequent" deutet dabei an, dass im Rahmen dieser Interpretation der Informationsbegriff in seiner gesamten konzeptionellen Vollständigkeit und Reichhaltigkeit berücksichtigt wird. Hierunter ist insbesondere zu verstehen, dass Information, vollständig aufgefasst, notwendig unter den drei semiotischen Aspekten der Syntax, Semantik und Pragmatik steht, und dass ferner Information ein essentiell zeitlicher Begriff ist.
Dies ist die besondere These der Arbeit (Lyre 1998b). Im Zentrum steht dabei die versuchte Begründung von Information auf der alleinigen Basis zweier Aprioriprinzipien: Unterscheidbarkeit und Zeitlichkeit. Die Idee wäre, dass sich eine "Abstrakte Theorie der Information" formulieren lässt, in deren Rahmen sich der im obigen Sinne vollständige Informationsbegriff systematisch herleiten lässt. Einen konzeptionellen Versuch hierzu stellt das Kapitel 3.1.2 von (Lyre 1998b) mit dem Titel Systematik des vollständigen Informationsbegriffes dar. Eine englische Version ist in (Lyre 1997) enthalten.
M. Drieschner (1970): Quantum Theory as a General Theory of Objective Prediction, Dissertation, Universität Hamburg
Th. Görnitz (1986): New Look at the Large Numbers, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 25, No. 8
Th. Görnitz (1988a): Abstract Quantum Theory and Space-Time-Structure. I. Ur Theory and Bekenstein-Hawking Entropy, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 27, No. 5
Th. Görnitz (1988b): Connections between Abstract Quantum Theory and Space-Time-Structure. II. A Model of Cosmological Evolution, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 27, No. 6
Th. Görnitz and E. Ruhnau (1989):Connections between Abstract Quantum Theory and Space-Time-Structure. III. Vacuum Structure and Black Holes, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 28, No. 6
Th. Görnitz, D. Graudenz, and C.F. von Weizsäcker (1992): Quantum Field Theory of Binary Alternatives, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 31, No. 11
W. Heidenreich (1981): Die dynamischen Gruppen SO(3,2) und SO(4,2) als Raum-Zeit-Gruppen von Elementarteilchen, Dissertation, MPI Starnberg
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H. Lyre (1995): The Quantum Theory of Ur Objects as a Theory of Information, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 34, No. 8
H. Lyre (1996): Multiple Quantization and the Concept of Information, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 35, No. 11
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H. Lyre (1998a): Quantum Space-Time and Tetrads, International Journal of Theoretical Physics, Vol. 37, No.1, p. 393-400,
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C. F. von Weizsäcker (1997): Time -
Empirical Mathematics - Quantum Theory. In: H.
Atmanspacher and E. Ruhnau (eds.), ''Time, Temporality,
Now''. Springer, Berlin, 1997.
L. Castell, M. Drieschner and C.F. von Weizsäcker, eds. (1975-1986): Quantum Theory and the Structures of Time and Space, Vol. 1-6, Hanser, München
M. Drieschner (1979): Voraussage - Wahrscheinlichkeit - Objekt. Über die begrifflichen Grundlagen der Quantenmechanik. Lec. Notes Phys. 99. Springer, Berlin
H. Lyre (1998b): Quantentheorie der Information. Springer, Wien, New York.
C. F. von Weizsäcker (1971): Die Einheit der Natur, Hanser, München
C. F. von Weizsäcker (1985): Aufbau der Physik, Hanser, München
C. F. von Weizsäcker (1992): Zeit und Wissen,
Hanser, München
Prof. Dr.
Thomas Görnitz
Institut für Didaktik der Physik, Johann Wolfgang
Goethe-Universität, Frankfurt a.M.
Prof. Dr. Carl Friedrich von Weizsäcker
Maximilianstr. 15, Starnberg
"Wissen
und Verantwortung" - Verein zur Carl Friedrich von
Weizsäcker-Stiftung e.V.
Französischsprachige
Weizsäcker-Editionen und Besprechungen (I. Marechal)